- 2023. Ein ganz frisches, neues Jahr. Die meiner Meinung nach schrägste Woche des Jahres zwischen Weihnanchten und Silvester ist wieder mal vorbei. Gott sei Dank.
Das ganze restliche Jahr stehen nie so viele Termine und Verpflichtungen an, wie in der Weihnachtszeit. Grad in der Zeit, in der wir am wenigsten Licht haben und somit oft auch am wenigsten Energie.
Klopft dann das neue Jahr an der Tür, überschlagen sich sämtliche Medien vor Ratschlägen, wie man im nächsten Jahr endlich seine Ziele erreicht. Wie kann der innere Schweinehund endlich auf nimmer wiedersehen verjagt werden, wie halt ich die nächste Diät endlich durch, wie werd` ich endlich fit, wie werde ich diszipliniert, wie baue ich endlich das Leben auf, dass ich mir wünsche.
Als notorisch unzufriedene Selbstoptimiererin war das immer eine richtig wilde Zeit für mich. Meine Bilanz zwischen gesteckte Ziele erreichen und doch wieder absandln sah genau so aus, wie beim Großteil meiner Mitmenschen.
Resume`: mein Schweinehund ist saustark.
Vor ein paar Monaten fiel mir dann mal wieder über die berühmten nicht mehr nachvollziehbaren 17 Ecken das Buch „Atomic habits“ in die Hände. Schon auf den ersten paar Seiten war ich als alte Zitate-Tante im 7. Himmel ob der vielen tollen Sprüche. Mit den gesammelten Erfahrungsjahren und dem reifer Werden hab ich mir schon öfter mal gedacht, dass die meisten Menschen (myself inklusive) irgendwie einen Fehler im System haben müssen, um jedesmal am Jahresende wieder mit so einer miesen Bilanz zu enden. In „Atomic habits“ zeigt James Clear so deutlich mit dem Finger auf die schon länger vermuteten Systemfehler, dass ich wieder mal einen dieser „ist ja vollkommen logisch-wieso bin ich da nicht selbst draufgekommen“-Momente hatte. Kennst Du die? Ich hab die ziemlich oft 😉 Zurück zum Sytem. Ich weiß, ich sollte hier jetzt einen tollen Spannungsbogen aufbauen und dir Brotkrümelchen für Brotkrümelchen vor die Fuße, in unserem Fall auf den Bildschirm werfen, aber ich halt so viel Spannung überhaupt nicht aus und starte gleich mit der 1. Erkenntnisbombe:
Ganz egal, wie groß und toll und reizvoll und wichtig und unwiderstehlich dein gesetztes Ziel ist. Wenn dein Weg dorthin nur mühsam und zäh und hart ist, sprich: dein Alltag zipft dich von hinten bis vorne nur an, du kriegst da null postive Emotionen raus und du kannst dich für den Prozess partout nicht begeistern, erreichst du dein Ziel nicht. Selbst wenn dein Leben davon abhängt.
Damit mein` ich jetzt nicht, dass du jeden Morgen begeistert aus dem Bett springen musst, sobald dein Wecker läutet. Mal angenommen, du willst dich mehr bewegen – wenn du aus deinem Vorhaben null Stolz/ Freude/ Sinn/ gutes Gefühl rauskriegst, kämpfst du gegen den durchrieselnden Sand in deiner Sanduhr. Das hält niemand gut durch und schon gar nicht für längere Zeit. Wenn du Schwimmen absolut nicht magst und dir vornimmst, 4 mal die Woche eine Stunde zu schwimmen, weil`s so gesund ist, wird dein Vorhaben langfristig richtig zäh.
In den USA wurden mit Herzinfarktpatienten viele große Studien gemacht. Der Herzinfarkt zählt ja zu den sogenannten „Lifestyle-Erkrankungen“, wo durch Umstellung von Ernährung, Stress, Bewegung doch deutliche Verbesserungen in Bezug auf die Herzgefäße zu erreichen wären. Was glaubst Du, wieviele Menschen so eine „Lifestyle-Umstellung“ nach einem Herzinfarkt schaffen? Also nochmal ein bisschen deutlicher: die Studienteilnehmer hatten alle schon einen Herzinfarkt-sprich einen Schuss vor den Bug, werden aufgeklärt, wo sie sich selbst die Daumenschrauben ansetzen müssen, damit sie nicht bald sterben und werden nach einem Jahr wieder kontrolliert, was sie jetzt tatsächlich weitergebracht haben.
Nur jeder 9. Patient schafft`s, sein Leben umzustellen. Selbst nach einem lebensbedrohlichen Herzinfarkt .
Also mich hat das voll schockiert. James Clear fasst das sinngemäß so zusammen, dass wir nicht aufsteigen auf die Ebene unserer hochgesteckten Ziele, wir fallen auf die Basis unserer Alltagssysteme nach unten. Alles, was keinen Platz findet in deinem Tages-/spätestens Wochenplan, wird auf lange Sicht dann irgendwann mal komplett verdrängt von all den anderen Dingen, die sich in deinen Alltag drängen. Also entweder man plant Dinge ganz bewusst und aktiv ein, und da muss dann auch der Zug drüberfahren, oder sie passieren nicht. Das ist natürlich am Start jeder neuen Gewohnheit echt anstrengend und alles andere als leicht. Je mehr Unterstützung du in der Phase bekommst, sei es durch dein Umfeld, Kontrollsysteme, die du dir zurecht bastelst, professionelle Hilfe oder eine neue Gruppe, ein neuer Verein, umso größer deine Erfolgschancen. Stell dich schon mal drauf ein, dass dir dein Gehirn dabei mächtige Hindernisse vor die Füße werfen wird. Das will nämlich am allerliebsten, daß so viel wie möglich beim Alten bleibt. Aber mehr dazu später.
Das, was Du als deine Identität festlegst, wird immer die Oberhand haben.
Den Spruch „fake it `till you make it“ kennen wir ja alle. Ich stand damit wirklich lang auf Kriegsfuß, weil ich eigentlich gern ein ehrlicher Mensch sein will und ich will vor allem nix vorspielen, was eben genau das ist: vorgespielt. Jetzt dreht James Clear den Spieß hier aber auf eine ziemliche coole Art und Weise um. Wir schaffen`s in den allermeisten Fällen nicht, eine neue Verhaltensschiene zu etablieren, wenn wir von unserem Kopf her noch in den alten Mustern drinhängen. Ein anschauliches Beispiel dazu: Du hast seit einiger Zeit mit dem Rauchen aufgehört, und stehst jetzt irgendwo mit ein paar Leuten zusammen. Jemand bietet Dir eine Zigarette an.
Bei vielen Ex-Rauchern kommt dann oft die Antwort: „Nein, danke, ich rauche nicht mehr.“ Der Zusatz „nicht mehr“ löst im Gehirn sofort Erinnerungen an die Zeit als Raucher aus und alles, was damit verbunden wird. Und plötzlich ist das „alte“ Leben als Raucher wieder total präsent und das Gehirn braucht ordentliche Willensstärke, nicht wieder ins alte Rauchmuster zu kippen.
Mit dem Satz: „Danke, ich bin Nichtraucher“, hingegen drückt man sprachlich eine Überzeugung aus. Ich rauche nicht. Ganz gleich, wer ich früher war. Ich bin Nichtraucher. Fertig.
Mir ist jetzt natürlich voll bewusst, dass das ein kleiner Mind-Trick ist und schwere, langjährige Süchte nicht mit einem Satz oder sprachlichen Spitzfindigkeiten allein gelöscht werden. Aber sei mal ehrlich: wie oft starten wir total motiviert und fallen dann wieder in die Schiene „ich bin einfach kein….(was auch immer du hier einsetzen willst – Sportler, schlanker Mensch, konsequenter/ordentlicher/organisierter Mensch), „ich war immer schon dick/unsportlich/ungesund/schlampig“ und kommen gar nie so weit, dass wir Dinge mal so lange durchhalten, dass sie dem alten, mitgeschleppten Quatsch mal ersetzen könnten? Wenn wir selbst nicht wirklich überzeugt sind von uns selbst, wie leicht sind wir dann ins Wanken zu bringen? Wenn wir unsere Fersen nicht in den Boden stampfen und richtig fest an uns selbst glauben, brauchts keinen Sturm um unser Schifferl wieder in den alten Hfen zurück zutreiben. Da reicht ein Lüfterl.
Die 2. große Erkenntnnis: Veränderung ist immer schmerzhaft und bei den allermeisten Erwachsenen muss irgendwas wegfallen, wenn sie eine neue Gewohnheit in ihren Alltag integrieren wollen.
Wie schon kurz angedeutet mag`s unser Gehirn gerne so wie immer. Deswegen fühlen sich Traditionen und Gewohnheiten ja auch so wohlig sicher an. Wenn wir im Vorhinein schon wissen, wie Dinge ablaufen, kann sich unser Gehirn entspannen, weil es weiß, es muss keine neuen Lösungen suchen für das, was kommt. Neue Lösung = mehr Energieaufwand und den will unser Hirnkastl so gut es nur irgendwie geht vermeiden. Ich bin wirklich die allererste Unterstützerin für jeden, der sich dazu entschließt, mehr Bewegung in sein Leben zu bringen. Aber wenn ich dann Leute erleb`, die von einem Tag auf den anderen 3-4mal pro Woche 1,5 Stunden körperliches Training in ihren Alltag stopfen wollen, mit Familie, Job, Haushalt, etc. , seh ich die in den meisten Fällen vorprogrammierte Erschöpfung schon fast vor mir.
Fitnesstudiobetreiber reiben sich jedes Jahr im Jänner die Hände, weil sie wissen, ab spätestens März zahlen die Leut` Leergeld.
Was die Meisten bei ihrem Plan nämlich vergssen ist, dass der durchschnittliche Vollzeit arbeitende Erwachsene nicht die Energie und die Ressourcen hat, plötzlich 5- 7 Stunden pro Wochen zu trainieren. Menschen, die das durchziehen, haben das entweder schon über viele Jahre etabliert und entsprechende Adaptierungen dafür in Kauf genommen, oder planen ihren Alltag wirklich ausgeklügelt um. Irgendetwas anderes muss weichen, irgendetwas muss jetzt weniger Zeit abkriegen, wenn Du deinen Entschluss fasst. Fernsehen, soziale Medien, Hauhalt, Partner/Familienzeit/ Zeit zum Nichtstun – irgendwo wird dir Zeit abgehen. Partner und/oder Familie gehören drauf eingeschworen, und hier muss ich auch mal einen feministischen Seitenhieb loswerden: wir Frauen tragen in den meisten Familien immer noch den größten Anteil an Kinderbetreuung/-versorgung und Hausarbeit, meistens zusätzlich zu einem Tagesjob. Deswegen meine große Bitte: Starte so klein, dass es fast keine Ausrede gibt, die dich dran hindert, dein Tagesziel zu erreichen. Es geht vor allem darum, so wenig Streichergebnisse wie möglich einzufahren. Jedes grüne Hakerl wir gefeiert, jedes rote X ist eines zu viel.
Starte so, dass Du auch an absoluten Chaos-Tagen noch Energie hast, 10 – 15 min etwas Gutes für deinen Körper und damit auch für deinen Kopf zu tun. Und wenn du dir nur Zeit für ein paar bewusste Atemzüge nimmst, deinen Nacken lockerst, deine Schultern kreist, ein paar Kniebeugen probierst, oder dich beim Zähneputzen ein paar Mal auf die Zehenspitzen hochdrückst. Wurscht was – tu`s einfach.
Ich weiß schon : so eine kleine Einheit hört sich in Sportlerkreisen viel zu läppisch an für ein Training, aber am Ende des Tages ist das sooo viel besser als nix. Je größer deine zeitliche Anforderung, desto größer wird auch die Chance nach dem Alles oder Nichts- Prinzip gar nichts unterzubringen. Jedes Scheitern brennt sich tief ein in unserem Kopf. Leider oft viel tiefer als etwas zu schaffen. Und ehe du dich versiehst, fährst du immer mehr Beweise ein für deine alten Überzeugungen. „Ich war immer schon….“; „Ich hab… noch nie geschafft…“ Damit unser alter Quatsch ein für alle Mal im alten Jahr bleibt, fass ich hier für dich und für mich nochmal zusammen:
- Gestalte dir dein eigenes System so, dass du deine Tage/Wochen magst und überzeug dein Gehirn davon, wer du sein willst!
- Veränderung ist schmerzhaft – Altes auszulassen fällt unserem Gehirn irre schwer. Stell dich auf Widerstand ein und plane gut!
- Alles ist besser als nichts. „Steter Tropfen höhlt den Stein“ heißt`s so schön. Starte so, dass Du mal eine Zeit lang gut und halbwegs bequem durchhältst.
Schade um die viele verlorene Energie, wenn du volle Past mit dem Hochdruckreiniger auf deine Ziele schießt, und nach kurzer Zeit geht dir das Wasser aus.
Um es mit einem meiner Sarah Connor Lieblingslieder „Hör auf deinen Bauch“ abzuschließen:
„…und du sitzt hier und hörst die Stimme, die dir sagt, da ist noch so viel mehr:
Sie sagt: Steh`auf! Geh raus! Sing laut von den Dächern deiner Stadt!“
Ein bewegtes 2023 wünsch ich uns allen!